Ich bin ehrlich mit dir: Meine Haltung zum Shibari, oder Rope-Bondage hat sich über die Jahre sehr verändert und es war oft ein auf und ab, aber auch eine Sinn- und Identitätssuche. Früher habe ich sehr viel über den Versand und den Kopf gefesselt - vielleicht auch, weil ich Angst vor Emotionen hatte, die vielleicht sonst dabei hochgekommen wären (bei mir oder bei meinen Fesselpartnern). Alles musste kontrolliert sein - bis ins kleinste Detail. Heute habe ich einen anderen Zugang: ich vertraue viel mehr meiner Intuition, meinem Gefühl und meinem Körper. Statt zu Denken, bin ich viel mehr im Fühlen und lass das Seil oft frei fließen.
Aber von vorne: Ich möchte hier meine Erkenntnisse mit dir teilen.
Die vielen Ebenen des Shibari
- Für die technischen Verstands-Menschen hat es Bruchlast, Symmetrie, Logik und Denkaufgaben, wenn man z.B. ein bestimmtes Muster versucht nachzubauen.
- Für die Menschen mit starker emotionaler Ausrichtung bietet es Verbindung und Ins-Fühlen-Kommen. Fesselungen können tiefe Emotionen an die Oberfläche bringen.
- Für die Körper-Menschen, wie z.B. Tänzer oder Sportler bietet es so viel Möglichkeit, sich mit dem eigenen Körper und seinen Grenzen auseinanderzusetzen.
- Für Menschen, denen das Soziale vielleicht schwerer fällt, bietet es geschützten Raum und kontrollierbare Nähe, die sehr heilsam sein kann.
- Für die Spieler (z.B. BDSMer, Tantra-Interessierte, etc.) ist Bondage ein unverzichtbares Hammer-Tool, mit dem sich so viele spannende Welten eröffnen kann.
- Für die Künstler bietet es kreativen Ausdruck
- Und für die Pragmatiker vielleicht einfach “nur” guten Sex - eine absolute super-Ressource. Wer will das nicht?
- Für die Denker gibt es einen tief philosophischen, fast schon religiösen Zugang. Im Kinbaku (der hohen Kunst des Shibari) kann man sich Jahrzehnte verlieren und viel über sich, den Geist und die Welt erfahren (ja, durch das Seil!)
- Für die Sensation-Seeker hält Shibari Abenteuer und Erlebnisse bereit: Kopfüber gefesselt von der Decke hängen und nichts mehr kontrollieren können, kann eine wunderschöne Erfahrung sein.
- ...und es gibt so vieles mehr...
Meine Erkenntnis
Und wenn ich was verstehen durfte, dann das: Shibari ist nichts festgelegtes. Es gibt dir genau das, was du haben willst und was du suchst. Jeder entscheidet selbst, mit welcher Intention, mit welcher Haltung und mit welchem Ergebnis er fesseln möchte. Früher war für mich das verkopfte-Logik-Fesseln genau das richtige. Heute ist es eher das Loslassen und das Fühlen, was mir mehr Freude macht.
Diese kleine Auflistung gibt dir vielleicht auch eine Idee davon, dass es Shibari ein Spektrum ist und so, so, so viel mehr bieten kann, als man selbst mit seiner Wahrnehmung und Lebenserfahrungen kennen kann. Es verändert sich oft ganz von allein- über die Zeit, die eigenen Erlebnisse, dem Austausch Gleichgesinnter und mit wechselnden Fesselpartnern.
Was Shibari für mich ist:
- Kommunikation: ich liebe es, in einen nonverbalen Dialog mit meinen Models zu gehen. Der Körper antwortet ganz ohne Worte. Und er antwortet auf alles!
- Freiheit: Ich habe so oft miterleben dürfen, wie Menschen über das Fesseln zu sich selbst gefunden haben und endlich ihre Wünsche und Bedürfnisse ausleben konnten - ganz ohne sich schuldig oder schlecht zu fühlen.
- Eine Ressource: Damit meine ich, dass das gemeinsame Fesseln von Grund auf Positiv ist. Man hat Spaß, man lacht und man ist in Verbindung zueinander. Jeder geht am Ende glücklicher und erfüllter nach Hause als er gekommen ist.
Was Shibari für mich NICHT sein braucht:
- Eine Show-Disziplin, wo man andere mit beeindrucken kann: für mich ist die Bühne nichts
- Unnötiges Mystifizieren und Geheimniskrämerei: Ich liebe Klarheit und Ehrlichkeit und ich möchte die Dinge verstehen. Ihr Warum und ihr Wozu.
- Ich möchte Menschen nicht wehtun. Ich habe daran einfach keine Freude. Daher lehne ich besonders schmerzhafte Fesselungen und Hängungen ab. Ich habe aber großen Spaß daran, wenn Models das sog. “zelebrierte Leid” genießen und den Druck der Seile, das Unbequeme und Unentkommbare bewusst suchen.
Fazit
Besonders schätze ich aber am Fesseln, dass egal was ist - das Seil holt mich in den Moment zurück. Ich kann nicht fesseln und dabei an meine To-Do-Liste denken. Es gibt mir Halt im Hier und Jetzt und jeder, der dabei ist, hat danach gute Laune. Vielleicht nennen das manche Achtsamkeit, Meditation oder Nervensystemregulation. Für mich ist es immer - egal ob früher oder heute - eine kraftvolle Ressource für ganz viel Lebensfreude und Verbindung.