Wenn man mit dem Fesseln beginnt, ist der Fokus bei fast allen Menschen erstmal auf dem Seil: man bemüht sich, die Technik vernünftig auf die Reihe zu bekommen und dem Fesselpartner nicht unnötig oft die Seilenden ins Gesicht zu schlagen.
Das Gegenüber hingegen hält dankbar still, genießt die Seile auf der Haut und gibt vielleicht den ein oder anderen Verbesserungsvorschlag. Emotional ergriffen ist da bislang keiner von beiden.
In diesem Beitrag möchte ich dir Tricks und Techniken aufzeigen, mit denen du selbst als absoluter Anfänger Gefühl ins Seil bekommen kannst. Vielleicht schaffen wir es noch nicht gleich zum sagenumwobenen ekstatischen Sabbern & Zucken ergriffener Seilmodelle, aber ich verspreche dir, dass du schon mit einer Hand voll Kleinigkeiten das Level der Verbundenheit beim Fesseln maßgeblich erhöhen kannst.
Aber zunächst einmal: wovon rede ich hier eigentlich?
I. Was ist Emotionale Verbundenheit?
Shibari bietet uns einen Rahmen an, welcher ideal für das Vertiefen der Beziehung zwischen zwei Menschen ist: Wir haben ein gemeinsames positives Ziel, einen geteilten Fokus, ein in der Regel ablenkungsarmes Umfeld - ohne das einer auf sein Handy schauen kann - und eine Aktivität, welche ihre Grundlagen in Vertrauen und Kommunikation findet.
Ich muss dazu sagen: Es gibt viele Fesselpaare, bei denen Emotionen beim Fesseln kaum eine Rolle spielen - ihnen geht es eher um z.B. einen rein praktischen Nutzen im Rahmen eines BDSM-Spiels, um meditatives Bondage (das Ausharren müssen in einer Fesselung) oder einfach hübsche Muster (rein ästhetisches/dekoratives Bondage). Es muss also nicht für jeden das Ziel sein, emotional verbunden zu fesseln. Die Verbundenheit kann sich auch über andere Wege darstellen.
Für viele andere Fesselnde ist es aber eine willkommene Möglichkeit, alle aufkommenden Emotionen bedingungslos fühlen zu dürfen, sie freilassen zu können. Man darf sich im Seil verletzlich zeigen - als wenn es so gewollt wäre.
Hat man dann das Wissen, dass das Gegenüber die eigenen Gefühle wahrnimmt und einen sicheren Rahmen für sie bietet, spricht man von einer hohen Emotionalen Verbundenheit der Fesselpartner.
Damit das Fesseln diesem wunderbaren Hingeben und emotionalen Öffnen auch von Anfang an dienen kann, habe ich ein paar Tipps und Tricks für dich zusammengestellt.
II. Die Grundlagen
Jeder Mensch kann zu einem anderen Menschen eine Verbundenheit herstellen, die auf 5 Säulen basiert. Ich setzte hierfür voraus, dass die Fesselpartner einander kennen und vertrauen. Desweiteren sollten ehrliche Kommunikation und ein sicherer Rahmen für das Ausüben von Shibari gewährleistet sein - das ist aber hoffentlich allen klar.
Die 5 Säulen der emotionalen Verbundenheit sind:
- Präsent sein & Selbst-Verbundenheit üben
Um mehr mit unserem Gegenüber verbunden zu sein, müssen wir zuerst mit uns selbst in Verbindung sein. Klingt so einfach - ist es aber gerade am Anfang gar nicht. Haben wir aber einmal eine Technik verinnerlicht und ein oder zwei Fesselungen gefunden, die wir ohne großes Nachdenken aus dem Muskelgedächtnis abrufen können, ist es ratsam sich immer zunächst in den eigenen Körper einzufühlen.
Folgende Fragen können der Selbst-Verbundenheit vor und während einer Fesselsession dienen:
- Wie geht es mir gerade jetzt?
- Wie fühlt sich mein Körper an? (gestresst, entspannt, leicht, angespannt, bewegt)
- Welche Emotion spüre ich in mir?
- Wo in meinem Körper nehme ich die meiste Entspannung / Ruhe /Gelassenheit wahr?
Je mehr wir uns selber wahrnehmen und unseren eigenen Körper spüren, desto regulierter und Aufnahmefähiger sind wir auch für die Verbindung zu unserem Seilmodell.
2. Blick & Zuwendung
Verbundenheit stellen wir am einfachsten her, indem wir eine Person liebevoll anschauen oder uns ihr zuwenden. Das können wir auch mit einer offenen und einladenden Körperhaltung unterstreichen: Wenn wir mit einer Person sprechen, die wir mögen, ist unser ganzer Körper ihr zugewandt. Reden wir mit einer uns unliebsamen Person, drehen wir uns gerne weg oder verschränken die Arme vor dem Körper.
Indem wir unser Seilmodell bewusst anblicken und liebevoll wahrnehmen, erzeugen wir Verbundenheit. Auch dieser Punkt klingt ganz einfach - wird aber gerne zugunsten der Technik vergessen. Blick einfach öfter beim Fesseln mal in die Augen deines Modells und betrachte - unaufdringlich, zugewandt und liebevoll. Damit signalisiert du: Ich bin da, ich nehme dich wahr, ich sehe dich, ich passe auf dich auf. Das erzeugt Vertrauen und Sicherheit.
3. Berührung & Körperkontakt
Bei diesem Punkt geht es konkret um die Art von Berührung, die ernsthafte und aufrichtige Verbundenheit erzeugt. Dafür ist die körperliche Intimität entweder bereits gegeben (z.B. wenn du mit deinem Fesselpartner eh in einer Beziehung bist) oder wurde zuvor erfragt (“Ist es in Ordnung, wenn ich dich während des Fesselns an Stelle X, Y berühre?”).
Lies hierzu auch den Beitrag: Was du beim Thema Konsens vielleicht noch nicht wusstest
Durch das Halten einer Umarmung oder das Nachfühlen der Seillagen mit einer über den Körper steichenden Bewegung kann viel Nähe erzeugt werden. Aber auch während einer Fesselung kann eine Hand auf der Schulter oder das bewusste Herstellen von Körperkontakt sehr beruhigend wirken. Werden wir wohlwollend berührt, dann schüttet der Körper Oxytocin (“das Kuschelhormon”) aus und wir fühlen uns sicher und geborgen. Gleichzeitig wird Stress abgebaut.
Konkrete Tipps:
- Wenn du mit dem Fesseln der Handgelenke beginnst, halte die Hände für einen Moment einfach nur zwischen deinen Händen fest.
- Du kannst Seillagen um den Körper herum immer umarmend fesseln
- Liegt eine Person gefesselt auf dem Boden, kannst du durch das Halten von Körperkontakt (z.B. indem dein Knie am Arm des Modells anliegt) das Gefühl von Präsenz und Sicherheit vermitteln - auch wenn dein Modell dich nicht sehen kann, spürt er oder sie dich doch und nimmt dich wahr.
4. Stimme und Sprache
Dieser Punkt ist vor allem vor und nach einer Fesselsession wichtig: wir reden miteinander und tauschen uns aus. So einfach und doch so essenziell. Der Klang unserer Stimme erzeugt ein Gefühl von Vertrauen und Verbundenheit. Nimm das gerne als Einladung, dich mit deinem Seilmodell vorab auszutauschen - ein gutes Gespräch mit wirklich aufrichtigem Interesse kann sich wundersam auf eine Fesselsession auswirken.
Es gibt ganz viele Möglichkeiten, wie wir auch während dem Fesseln Stimme und Sprache bewusst einsetzen können - aber das würde thematisch hier etwas den Rahmen sprengen. Komm gerne dafür zu mir ins Training.
5. Atmung
Unsere Atmung ist der Rhythmus unseres Lebens. Wenn der Partner im gleichen Rhythmus atmet, dann synchronisieren sich beide und fühlen sich miteinander verbunden. Du kannst die Atmung ganz einfach in deine Fesselpraxis integrieren: nimm bewusst wahr, wie du atmest (wie tief, ist der Rhythmus gleichmäßig, etc.). Dann beobachte, wie dein Model atmet und passe deine Fesselbewegungen daran an. Durch bewusste Pausen und kurzes Innehalten kannst du nun eure Atmungen synchronisieren - schau einfach mal, was passiert.
3 Tipps für mehr Verbundenheit beim Fesseln
Die eben genannten Grundlagen sind eigentlich ganz allgemein gültig und können auf jede Partnerschaft oder Beziehung übertragen werden. Hier gibt es für dich jetzt nochmal ein paar Tipps konkret fürs Fesseln:
Nr 1) “Zuhören”:
Einer der wichtigsten Hinweise, die ich meinen Anfängern im Training immer gebe, ist der, dass sie “zuhören” sollen. Damit meine ich nicht (nur) mir, sondern vor allem dem Model. Unsere Seilmodelle mögen während des Fesselns nun nicht gerade viel Reden, jedoch “antworten” sie auf jede Bewegung des Fesselnden nonverbal: mit einer Körperbewegung, einem Zucken, der Mimik, der Atmung oder der Stimme. Das alles darf gerne wahrgenommen und “gehört” werden. Hör deinem Model zu und lass sie “(aus)- reden”.
Nr. 2) Seilduktus:
Der Pinselduktus bezeichnet in der Kunst die Art und Weise, wie der Künstler den Pinsel geführt hat, um sein Werk zu kreieren.
Ändere deinen Seilduktus und biete deinem Modell eine Varianz an “Tönen und Klängen” beim Fesseln an. Wie in einem Musikstück gibt es dann Pausen, laute und leise Töne, sanfte und kraftvolle Episoden. Je nachdem und abhängig vom Modell kannst du so verschiedene Zustände und Reaktionen erzeugen, was die Grundlage für intensives Fühlen und Wahrnehmen beim Fesseln bilden kann.
Nr. 3) Pausen:
Mache bewusst Pausen, um dich mit dir selbst und deinem Modell zu verbinden und dass, was gerade geschieht, bewusst wahrzunehmen. Die Momente der Ruhe haben einen besonderen Zauber - von hier aus kannst du die Atmung synchronisieren und neuen emotionalen Schwung holen.
Für die Seilmodelle
Ich habe jetzt sehr viel darüber geschrieben, was wir als Fesselnde Personen dazu beitragen können, dass die Fesselsession intensiver und emotionaler werden könnte. Was können aber unsere Seilmodelle machen, wenn sie mehr Tiefe und Verbundenheit fühlen möchten?
An dieser Stelle möchte ich mich aus Platzgründen auf einen einzigen Tipp beschränken. Ich halte ihn aber für einen der wertvollsten:
Sei emotional ehrlich und zeig wenn du was fühlst, zeig was dir gefällt.
Durch diese innere Erlaubnis dir selbst gegenüber kommt alles ins Fließen und die fesselnde Person merkt schnell, dass es kein Monolog mehr, sondern ein Dialog ist, da du auf die Bewegungen und die Fesselung bewusst “antwortest”.
Wenn es dir schwer fällt, Emotionen im Seil zu zeigen, dann probier es einfach nur mit bewusstem tiefen Atmen, dann lauterem Atmen, vielleicht einem leises Stöhnen was auch für Lust und Hingabe stehen kann. Diese Offenheit, auf die Fesselung zu reagieren und All-in zu gehen was das Fühlen angeht, ist die Grundlage für eine tiefe emotionale Kommunikation und Verbundenheit.
Abschluss
Ich hoffe ich konnte dir ein paar Inspirationen und Ansätze zum Thema “Emotionales Fesseln” mit auf den Weg geben. Indem du die fünf Säulen der emotionalen Verbundenheit – Präsenz, Blick, Berührung, Stimme und Atmung sowie den ein oder anderen Tipp (“Zuhören”, Pausen und Seilduktus) – in deine Fesselsessions integrierst, kannst du nicht nur die Erfahrung des Fesselns bereichern, sondern auch die Beziehung zu deinem Fesselpartner vertiefen. Oft sind es die kleinen Veränderungen, die einen großen Unterschied machen können. Viel Freude beim Ausprobieren!