Ki-Energie im Shibari- Mythos oder Geheimtipp?

    “Ick muss noch een bisschen Ki in meene Olle rin kloppen”

    - mit diesen Worten verabschiedete sich einer der bekanntesten Fesselmeister, Osada Steve, in seine ganz private Abendgestaltung. 

    Das Wort “Ki” läuft einem - befasst man sich etwas intensiver mit Shibari oder anderen asiatischen Disziplinen - immer wieder mal über den Weg. Es ist ein Konzept, wonach man bestimmte Bewegungen und Intention Tun oder Lassen sollte, um intensivere Reaktionen beim Modell zu provozieren. Doch um was genau geht es dabei? Was ist dran am Mythos Ki im Shibari?

     

    1. Intro

    Als ich das erste Mal Osada Steve live beim Fesseln zusehen konnte, fiel mir auf, dass er mit scheinbar mühelosen und sanft-weichen, kleinen Bewegungen, das ganze Model wie ein Kartenhaus zusammenfallen lassen konnte. Ein zartes Streichen mit dem Seil hatte eine unproportional große Wirkung. Der Deutsche, der in seinen Zwanzigern nach Japan auswanderte und dort viele Jahre Aikido praktizierte, gilt nicht umsonst als einer der weltweit besten Fessler. Hierbei macht er sich nicht nur Technik und Finesse zunutze, sondern auch Hebel-Prinzipien aus dem Kampfsport und eben das Wissen um den Fluss der Ki-Energie. 

    Auch gegen die Skepsis der zumeist europäischen Schüler, lehrt er die Prinzipien des Ki und macht immer wieder darauf aufmerksam, wie viel mehr Einfluss unser Fesseln haben kann, wenn wir nicht einfach wahllos irgendwelche Bewegungen beim Fesseln machen, sondern bewusst ein Gefühl für das Feinstoffliche entwickeln und uns die Energie zunutze machen.

     

    1. Über “The Energy”

    Ki (oder Chi im Chinesischen) ist das japanische Wort für Lebensenergie. In Worten wie Reiki (Handauflegen/ energetische Heilpraxis), Tai Chi oder Qigong (Bewegungs- und Meditationsübungen mit Energiefluss) kann man schon rein sprachlich ableiten, worum es geht. Aber auch Aikido beinhaltet die Silbe “Ki” - es ist “Der Weg (Do) der Harmonie (Ai) mit der Energie (Ki)”. 

    Seit Jahrtausenden kennen die asiatischen Kulturen diese unsichtbare Lebensenergie - die Traditionelle Chinesische Heilkunst (TCM) beschäftigt sich sogar ausgiebig mit Meridianen (den Energieleitlinien) und behandelt Dysbalancen mit Akupunktur und Kräuterheilkunde. In vielen chinesischen Parks wird morgens Qigong praktiziert und mit Feng Shui bemüht man sich, das Fließen des unsichtbaren Chi auch in Räumen, Häusern und der Architektur zu verbessern, um das Wohlbefinden zu verbessern und Unglück abzuwenden. 

    Im westlichen Denken hingegen ist das Konzept nur schwer greifbar - wir können Ki weder sehen noch messen. Menschen aber, die mit Reiki, Aikido oder Qigong in Berührung gekommen sind, berichten, dass man es sehr wohl fühlen kann und die Energien einen maßgeblichen Effekt auf Körper und Geist haben können. Auch Millionen von Asiaten können nicht alle über Jahrtausende hinweg falsch liegen. Lass uns etwas über den Tellerrand hinaus schauen und Ausprobieren, was wir davon für unsere Fesselpraxis nutzen können. Wir können im Grunde nur gewinnen.

     

    1. Wie fühlt sich Ki an?

    Vielleicht hast du sogar schon mal Ki-Energie bei dir oder deinem Partner wahrgenommen, konntest es aber noch nicht benennen. Wenn wir mit viel oder bewusst gesteuertem Chi arbeiten, könnte es sich für jemandem zum Beispiel so anfühlen:

    Wie sich Ki Energie anfühlen kann, eine Aufzählung

    Natürlich ist das immer ganz individuell. Für den einen ist es einfach nur ein feines Kribbeln und für jemand anderen eine ganze Explosion an Gefühlen und Farben (Ja, manche Menschen können die Ki-Energie auch visuell erfassen). Achte einfach beim nächsten Mal darauf - unter Umständen leitest du viel Energie beim Fesseln, hast es bisher aber noch nie bewusst wahrgenommen. 

     

    1. Wissenschaftliche Ansätze zur Erklärung der Ki-Energie

    Die Existenz von Ki-Energie kann wissenschaftlich nicht belegt werden. Wohl aber gibt es messbare Reaktionen auf den Körper, z.B. eine regulierte Herzratenvariabilität und veränderte Hirnwellen, wenn mit Ki (z.B. im Qi Gong) gearbeitet wurde. Darüber hinaus gibt es auch ein paar super interessante Erklärungsansätze, die vielleicht für Menschen eine Brücke sein können, denen die eher spirituelle Arbeit mit der Ki-Energie schwer fallen würde. Ich möchte kurz eine Hand voll Theorien zur Erklärung des Chi im Shibari anreißen:

     

    Bioelektrizität: Die Nervensignale in unserem Körper basieren auf elektrischen Impulsen, welche durch das Fließen von Ionen über die Zellmembran entstehen. Durch die erhöhte Aufmerksamkeit und den Fokus auf bestimmte Körperstellen (z.B. da wo gerade gefesselt wird), könnte es zu einer vermehrten neuronalen Aktivität kommen, da die Frequenz der Impulse erhöht wird. Dieser Erklärungsansatz heißt Bioelektrizität. Ob das die Ursache für die von vielen beschriebenen Körperwahrnehmungen ausreicht, ist aber fraglich. Zumal die elektrische Spannung unserer Nervenzellen biologisch auf -70mV und +30mV begrenzt ist. 

     

    Endokrinologisch: Durch den gesteigerten Fokus auf den Körper werden auch Hormone, wie z.B. Oxytocin, Serotonin und Endorphine vermehrt ausgeschüttet. Der Körper ist nicht mehr im “Normalmodus”, was auch mit einem veränderten Körpergefühl einhergehen kann. Beispielsweise wird durch den durch Entspnanung sinkenden Stresspegel (weniger Cortisol) die Körperinnenwahrnehnehmung verbessert. Das Bindungshormon Oxytocin wirkt ebenfalls körperlich entspannend und macht, dass man sich verbundener und energetisierter fühlt. Wenn die Fesselung dann eine gewisse Intensität erreicht hat, kann es zur Ausschüttung körpereigener Opiate (Endorphinen & Dopamin) kommen, welche für Euphorie, Glücksgefühlen und der Wahrnehmung, energetisch aufgeladen zu sein, führen können. Insgesamt wird durch den Hormoncocktail unsere Sensitivität verfeinert. Der Fokus ist beim eigenen Körper, zuvor unterdrücktes kann plötzlich spürbar werden und unsere Neurochemie hat das Zeug dazu, jede Berührung zu einer Explosion zu machen. 

     

    Psychologisch: Aus der Psychologie haben wir auch noch ein Erklärungsmodell. So zum Beispiel die Spiegelneuronen - Manche Menschen spüren die emotionalen Zustände ihres Gegenübers. Demnach übertragen sich Gefühle über das neuronale Netzwerk, einfach weil wir soziale Wesen sind und uns in andere hineinversetzen können. 

    Zusammen mit der Polyvagal-Theorie, wonach zwei Nervensysteme sich einander angleichen und nonverbal kommunizieren, z.B. über Berührung, Atmung und Präsenz, haben wir eine interessante Erklärung für das subjektive Erleben von Chi als energetische Verbindung zwischen zwei Menschen: Durch die Spiegelneuronen wird das, was die eine Person fühlt oder ausdrückt, teilweise direkt im Nervensystem der anderen Person aktiviert – als Mitgefühl, Resonanz oder somatische Co-Wahrnehmung. Somit synchronisieren sich Puls, Atem und Muskeltonus sowie Emotion und genau diese neuronale „Verkabelung“ sorgt dann dafür, dass Empfindungen wie „Dein Chi fließt in mir“ oder „Ich spüre deine Energie” neuropsychologisch erklärbar sind.

     

    Es gibt sicher noch mehr interessante Erklärungsmodelle, aber ich denke, dass diese drei Ansätze ein bisschen Hintergrundwissen liefern können, was im Körper passieren könnte. 

    Auch wenn die Ki-Energie direkt nicht vollends nachgewiesen oder ekrlärt werden kann, haben wir doch zumindest belegt, dass bei der intensiven Interaktion zwischen zwei Menschen, sich jede Menge im Körper verändert.

     

    “Vielleicht ist Chi kein „unsichtbarer Nebel“, sondern ein Sammelbegriff für all die feinen, lebendigen Prozesse in uns

    – für all das, was uns als Menschen spürend, lebendig und miteinander verbunden hält.”

     

    1. Wie können wir die Ki-Energie beim Fesseln steigern?

    Ich möchte an dieser Stelle konkrete Tipps zur Hand geben, wie du instant den Energiefluss beim Fesseln steigern kannst. 

    was steigert die Ki-Energie im Shibari?

     

    Durch deine Intention: Wenn du dir einfach nur bewusst wirst, dass du Einfluss auf die Energien in deinem Körper und in der folgenden Fessel-Session hast, dann hast du bereits etwas verändert. Chi fließt immer dort, wo dein Fokus ist. Bleibst du dir beim Fesseln dessen bewusst, hast du automatisch mehr Raum für Chi geschaffen. So kannst du dich z.B. bewusst entscheiden, zu: “Ich gebe Halt” oder “Ich beruhige”. Du kannst auch durch deine Intention Energie in bestimmte Körperbereiche des Modells fließen lassen. Mach es als Experiment und beobachte, was sich verändert. 

     

    Durch das Setting: Dieser Punkt mag vielleicht für den ein oder anderen eigenartig klingen. Aber der Ort an dem du fesselst, kann einen Einfluss auf das Erleben in der Session haben. Ganz offensichtlich sind Fesselorte in einer Wohnung ungeeignet, wenn es die Gefahr von unerwünschten Zuschauern (z.B. vor offenen Fenstern) geben kann. Aber auch zu helles Licht, Unordnung oder zu wenig Platz können einen daran hindern, ins Fühlen zu kommen oder sich fallen zu lassen. Denkt man das Thema etwas weiter, kann man sich im Feng Shui ein wenig schlau machen. Hier wird einem z.B. davon abgeraten, direkt hinter Türen (keine Einsicht wer hinein kommt und daher Unruhe) oder vor Fenstern zu fesseln, da die Ki-Energie zu leicht entweichen kann. Auch Ecken von Gegenständen sollten nicht direkt auf den Ort zeigen, wo man gerne fesseln möchte. 

     

    Über den Atem: Wie wir in den wissenschaftlichen Erklärungsmodellen bereits erfahren haben, können wir über den Atem eine Synchronisation der Nervensysteme erreichen. Auch im Qi Gong oder im Thai Chi spielt der Atem als Träger der Energie eine große Rolle. Du kannst ganz bewusst deine Atmung mit der deines Modells synchronisieren und im Rhythmus des Atems fesseln, z.B. Einatmen ist Seil halten und Ausatmen ist Seil herumlegen. Ein extra Tipp ist der, dass dein Modell das eigene Ausatmen mit einem Ton unterlegt. Dies steigert instant den Energiefluss und macht es dir als Fesselndem leichter, im richtigen Rhythmus zu arbeiten. Achte auch auf eine tiefe Bauchatmung bei dir. 

     

    Über deine Körperhaltung: Du kannst die Energie am besten leiten, wenn du sicher mit beiden Füßen auf dem Boden stehst oder einen sicheren Sitz auf dem Boden hast. Die Wirbelsäule sollte gerade und aufgerichtet sein, dein Kiefer und der Nacken besonders entspannt. Dein energetisches Zentrum befindet sich etwas unterhalb des Bauchnabels. 

     

    Über deine Bewegungen: Es ist ein großer Unterschied, ob du deine Armbewegungen hin- oder wegführend machst. Je nachdem kannst du die Energie deinem Model zu- oder abführen. Auch das Tempo ist entscheidend: langsame und fließende Bewegungen erhöhen das Ki beim Fesseln und aktivieren den Energiefluss im Körper. Es ist eigentlich ganz simpel und logisch: Durch wilde Weg-Bewegungen deiner Arme wird dein Modell voraussichtlich eher unruhiger und verliert den Fokus. Durch entspannte Bewegungen Hin zum Model, wird mehr Ruhe und Entspannung in die Session gebracht. Im Aikido und Qi Gong sieht man das Zentrum der Energie im Bauchraum. Die Arme sind die Kanäle, durch die die Energie aus dem Bauch heraus fließen kann. Reißt du nun die Arme ohne Intention ständig in alle Himmelsrichtungen, wird die Energie chaotisch überall im Raum verteilt. Führst du deine Arme aber gezielt ruhig und fließend, kann dein Modell in einer wohl positionierten Energiewolke sitzen. 

     

    Über die Vorstellung: Manchen Menschen fällt es leichter, wenn sie sich Dinge vorstellen können. Nimm deine Hände, halte sie mit etwas Abstand zueinander und stell dir vor, dass sich zwischen deinen Handflächen ein Energieball formt. Verändere die Farbe und Größe und beobachte, was du ggf. dabei fühlen kannst. Mit diesem Training wirst du empfindsamer für Energien, welche du mit Hilfe deiner Vorstellungskraft aufbauen und lenken kannst. Sieh das Seil als eine Art Energie-Autobahn. Es ist die Verlängerung deiner Arme, deines Zentrums. Und es leitet für dich die Ki-Energie in dein Modell hinein. Man könnte meinen, die Japaner hätten sich was dabei gedacht, dass sie ausgerechnet mit den Stängelfasern der Jutepflanze fesseln, welche die Pflanze mit Energie aus der Erde versorgt haben...


    Wie du fesselst: Wenn du die Energie steigern möchtest, dann machst du viele Seillagen in derselben Richtung (Energiespirale). Wenn du die Energie intensivieren und vertiefen möchtest, fesselst du viele ähnliche Bewegungen mit demselben Rhythmus. Für mehr Fokus arbeitest du diagonal und ein kleines bisschen schneller. Für mehr Ruhe fesselst du langsamer und fließender. Willst du mehr Verbindung, dann fesselst du im Rhythmus mit dem Atem. Für mehr Liebe, fesselst du um die Brust, um die Energie der Herz-Chakren und Meridiane zu erhöhen. Halte deine Intention klar und sende über das Seil Botschaften, wie z.B. “Liebe” oder “Dankbarkeit” oder “Ich finde dich großartig”. Achte auf die “Antworten” deines Modells.

     

    "Ki-Energie gibt es, aber wir wissen nicht, was es ist. Es entzieht sich dem Verstand." 

     

    1. Tipps für den Einsatz von Ki-Energie im Shibari:

    • Mehr Ki und mehr Energiefluss entsteht NICHT durch mehr physischen Input oder notwendigerweise durch mehr Druck/Schmerz. Die Härte einer Fesselung hat nichts damit zu tun, wieviel Energie dabei im Spiel war. Man kann mit einem einzigen Seil eine ganz leichte, einfache Fesselung machen und dabei soviel Energie in Bewegung setzen, dass das Modell in Trance gerät und energetisch so aufgeladen wird, dass der Zustand geradezu süchtig macht. 
    • Du brauchst auch nicht notwendigerweise super gut in Technik sein, um während dem Fesseln mehr Ki in Bewegung setzen zu können. Wohl aber gibt dir dein Können mehr Sicherheit, was wiederum zu einem besseren Energiefluss führt. 
    • Je mehr du mit Fokus auf Energiefluss fesselst und die Existenz beachtest, desto stärker wird die fließende Energie
    • Du musst es nicht wissenschaftlich verstehen können oder daran glauben, damit es auch bei dir fließt 
    • Besonders stark kann man die Energie an den Gelenken wahrnehmen

     

    wozu man mehr Ki-Energie im Shibari nutzen kann

     

    Ich hoffe ich konnte dich mit dieser Fesselpost etwas inspirieren oder zumindest für den Gedanken öffnen, dass es vielleicht noch mehr gibt, als wir mit bloßem Auge wahrnehmen oder einem Gerät messen können. Die Existenz von Energieströme in unserem Körper wird seit Jahrtausenden von einem Großteil der Menschen auf diesem Planeten als Gegeben angenommen. Und warum sollten wir uns das im Shibari nicht auch zunutze machen? Ob wir es jetzt wissenschaftlich belegen können oder nicht - es gibt die große Möglichkeit, dass durch die Beachtung der feinstofflichen Energie unsere Fesselsessions einfach geiler und besser werden. 

    Unter folgenden Stichworten findest du mehr zu dem Thema:

    • Reiki
    • Tai Chi oder Qigong
    • Aikido
    • Tantra (Neo-Tantra), hier sehr zu empfehlen sind die Bücher von Mantak Chia über Taoismus und Sexualität
    • Feng Shui
    • Shiatsu
    • Traditionelle Chinesische Medizin (Meridianlehre)

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