Wusstest du, dass jede gefesselte Körperhaltung einen anderen State verursachen kann? In diesem Blogbeitrag geht es um Embodiment: die Wechselwirkung von Körper und Geist und der Frage, wie wir uns dieses Prinzip im Shibari und BDSM zu Nutze machen können.

“Nee.” sagt die Frau und versucht ihren nach unten gedrückten Kopf zu schütteln. Die Hasenohr-Fesselung, bei der die Arme wie die Ohren eines Kaninchen hinter dem Kopf fixiert werden, ist absolut nicht ihr Ding. Noch vor 20 Minuten aber, mit eng hinter dem Rücken gefesselten Armen, war sie noch völlig in ihrem Element und grinste selig. Dabei waren beide Fesselungen etwa gleich eng und sauber gefesselt - nichts tat ihr weh. Und doch hat die eine Fesselung eine völlig andere Reaktion bei ihr ausgelöst, als die andere. Warum ist das so? Warum wird eine Haltung geliebt und die andere geht gar nicht? Die Antwort könnte in der Macht der Körperhaltungen auf unseren Geist liegen - dem “Embodiment”, was man im Deutschen grob mit “Verkörperung” übersetzen könnte.
Was ist Embodiment?
Seit den 90er Jahren weiß man, dass es eine wechselseitige Beziehung zwischen Körper und Psyche gibt. Zahlreiche Studien konnten belegen, dass die Körperhaltung, sowie unsere Mimik und Gestik einen unmittelbaren Einfluss auf unsere mentale Verfassung, unser Denken und Verhalten hat.
Dass wir, wenn wir gute Laune haben, auch eher Lächeln, aufrechter gehen und zu größeren Gesten neigen, ist ja klar. Aber dass dieser Mechanismus auch genau anders herum funktioniert und somit für z.B. die Psychotherapie, Coaching, Persönlichkeitsentwicklung oder eben auch Shibari genutzt werden kann, ist eher eine neuere Erkenntnis.
Ich möchte dir an zwei sehr bekannten Beispielen das Prinzip Embodiment einmal anschaulicher näher bringen:
Der Stift zwischen den Zähnen
Vielleicht kennst du auch den “Bleistift-Trick”, bei dem man, um schlechter Stimmung entgegen zu wirken, einen Stift mit den Zähnen halten soll. Dadurch nehmen wir ein zwanghaftes Grinsen ein, welches - obwohl es nicht echt ist - nachweislich die Laune verbessert. Unserem Hirn wird Freude vorgegaukelt...und es funktioniert erstaunlich gut, du kannst es gerne ausprobieren.
Super(wo)man pose
Ein anderes Beispiel, um die Relevanz des Themas fühlbar zu machen, ist die sog. “Superwoman/Superman Pose”: Bei dieser Pose steht man für einige Minuten stabil breitbeinig und streckt die Arme z.B. triumphierend in die Luft. Wahlweise kann man die Hände auch in die Hüfte stemmen und den Kopf aufrichten. Bereits nach kurzer Zeit fühlt man sich durch diese Haltungen merklich selbstbewusster - viele Probleme erscheinen einem sehr viel lösbarer als zuvor.
Die sog. Power-Poses wurden von der Psychologin Amy Cuddy in einem Experiment in ihrer Wirkung bewiesen. Demnach führt eine für 2 Minuten gehaltene Power-Pose zu einem im Schnitt um 25% gesenkten Cortisol-Spiegel und einem Testosteron-Anstieg um 19%. Die Teilnehmer ihrer Experimente waren daraufhin selbstsicher und souveräner in ihrem Auftreten.
Nach der Embodiment-Theorie, können wir allein durch das Verändern unserer Haltung, auch unsere Gedanken und Gefühle beeinflussen. Gehen wir dann aufrecht, mit einem Lächeln im Gesicht und entspannten Schultern z.B. in ein Bewerbungsgespräch, haben wir viel höhere Chancen, einen Job zu bekommen, als wenn wir mit einer nach unten gedrückten Körperhaltung und hängenden Schultern den Raum betreten. Das hat viel mit der Außenwahrnehmung unserer Person zu tun, aber mindestens genauso viel mit unseren dadurch veränderten Gedanken, Selbstüberzeugungen, Emotionen und Überzeugungen, die wir auch auf unsere eigene Zukunftserwartung projizieren. Wir gehen dann also z.B. viel selbstbewusster aber auch optimistischer durchs Leben und bekommen eher den Job oder erreichen unsere Ziele. Auf der anderen Seite können wir natürlich auch unsere Emotionen, Gedanken und Selbstüberzeugungen ins negative damit beeinflussen und uns kleiner, schwächer oder angreifbarer fühlen.
Wie können wir uns aber diese Körper-Hirn-Beziehung im Shibari oder im BDSM zu nutze machen?
Jede Fesselung hat ihre eigene Wirkung
Im Shibari hat jede Fesselung eine eigene Geschichte und eine eigene Wirkung die mehr oder weniger bekannt ist. Je nach Körperhaltung kann eine andere Reaktion beim Model provoziert werden. Leider ist dieses Wissen im Westen nicht gut verbreitet worden. Viele Fesselnde denken, dass es egal ist, welche Fesselung sie als nächstes machen und sich die Wahl nur daran ausrichtet, was jetzt besonders praktisch wäre, gut aussieht oder auf was man zum Fesseln eben so Lust hat. Aber damit wird ein wichtiges Element für intensive und tolle Shibari-Erfahrungen außer Acht gelassen. Nämlich die Frage:
“Welche Wirkung hat Fesselung XY überhaupt auf mein Model?”
Ich geb dir mal ein paar Beispiele, was ich damit meine:
Es gibt Intro- und Extrovertierte Fesselungen
Also solche, bei denen die Aufmerksamkeit des Models eher nach Innen (Introvertierte Fesselungen) oder eher in den Raum hinein, nach Außen (Extrovertierte Fesselungen) gelenkt wird. Je nachdem was man erreichen möchte, wirkt die Fesselung dann eher beruhigend und kontemplativ oder eher aufregend und aktivierend. Das kann man z.B. mit einem Mix aus Wirbelsäulenbeugung, Blickrichtung und Armposition erreichen:

Das Spiel mit der Wehrlosigkeit
Es gibt Fesselungen, bei denen wird mit schutz- und wehrlosigkeit gespielt, z.B. wenn die Arme hinter dem Rücken fixiert werden, könnte ein Mensch nicht mehr die wichtigen Organe wie Lunge und Herz schützen. Auch der Hals könnte überstreckt werden und somit das Gefühl der Unterlegenheit und des Ausgeliefert-seins unterstreichen. Das kann man super machen - wenn das Teil des Spiels ist und gut ankommt. Ich würde sowas nicht mit neuen Models machen, das kann unter Umständen für das erste Mal zu krass sein. Bei mehr Vertrauen, ist das aber durchaus genau richtig und gibt den gewünschten Kick.
Dehnung der Brustmuskeln als Faktor
Auch die Frage, ob die Brustmuskeln gedehnt sind, hat Einfluss auf das erzeugte Gefühl. Bei einem normalen Takate Kote / Gote sind die Brustmuskeln noch nicht so stark gedehnt. Bei einem Strappado aber schon. Es kommen somit viel intensivere Gefühle auf, wie z.B. Verletzlichkeit oder auch Wut und selten auch Trauer. Menschen, die im Strappado gefesselt werden, sind oft plötzlicher zugänglicher und empfindsamer gegenüber vielen Emotionen.
Gespreizte oder zusammengebundene Beine
Die Frage, ob die Beine zusammen oder gespreizt gefesselt worden sind, kann auch einen großen Effekt auf das gefühlte Ergebnis der Fesselung haben. Je nach Vorerfahrung, Vertrauen in das Gegenüber und eigener Einstellung kann dies entweder Scham verursachen oder Verlangen fordern. Gerade das Spiel mit dem Bereich zwischen den verschiedenen Emotionen - ein Schwanken zwischen Scham und Erregung - kann sehr aufregend und inspirierend sein.
In dieser Übersicht kannst du ablesen, welche Fesselung welchen State fördern oder auslösen kann:

Ein Selbstexperiment für dich
Es gibt noch viele weitere Tricks und Stellschrauben, mit welcher Fesselung man welche Emotionen bewirken kann. Mach doch mal ein kleines Selbstexperiment und setzt dich aufrecht hin. Nun rollst du deine Schultern nach hinten, so als wenn du mit deinen Schulterblättern eine Zitrone auspressen willst. Deine Brustmuskeln sind nun gedehnt (achte bitte darauf, dass dabei nicht die Schultern an den Ohren sind, sondern halte sie unten) und dann beobachte einfach mal, was die Haltung mit dir emotional macht.
Als nächstes, so nach 2 Minuten kannst du in die Hasenohr-Position gehen oder die Arme umarmend vor dem Körper halten. Jede Haltung macht ein bisschen was anderes mit dir, stimmts?
Was du beim Embodiment im Shibari beachten solltest:
- Nicht jedes Model reagiert gleich - was für den einen total entspannend ist, ist für den anderen langweilig, etc.
- Es gibt bestimmte Fesselungen, die, wenn man den Rahmen gibt, auch mit Emotionalen Verletzungen korrelieren und damit z.B. unangenehme Gefühle oder Erinnerungen an Trauma auslösen könnten. Nur dass man das mal gehört hat, dass sowas immer - bei jedem - sein kann. Pass da also auch gut auf euch in psychischer Hinsicht auf. Das gibt es übrigens auch im Yoga, bei bestimmten Haltungen, dass einen plötzlich und unerwartet etwas emotional viel mehr mitnimmt als man dachte, z.B. bei Posen mit Hüftöffnern, wo meist viele Emotionen gespeichert sind.
- Die Emotionale Reaktion auf Fesselungen hat auch super viel mit Faktoren, wie Enge der Fesselung, Erfahrung des Models, Anzahl der Seillagen, Setting und Herangehensweise, die Dauer der Fesselung, die Intention, welche Bilder im Kopf dazu ablaufen, etc. zu tun. Embodiment schaut sich nur einen kleinen Teil des Gesamtkonstruktes an - nämlich die Körperhaltung.
- Auch die Frage der Augen: “wohin geht der Blick?” kann einen großen Unterschied machen. Manche Fesselungen zielen darauf ab, dass man dem Gegenüber nicht mehr gerade in die Augen schauen kann, sondern hochblicken muss. Das kann Absicht sein, da manche Blickpositionen stark Trance-fördernd sind. Da kann ich dir noch viel, viel mehr zu erzählen - da kommst du am besten mal zu mir ins Training für, wenn dich das interessiert.
- Oft sind es vermeintlich kleine Details, die einen großen Unterschied im Erleben machen, z.B. wenn du plötzlich mit dem Fesseln der Finger oder Zehen beginnst oder einfach in einer Fesselung den Kopf mit fixierst oder an eine bestimmte Stelle drückst und sich plötzlich das Gesamterleben intensiviert und multipliziert.
- Dazu kommen noch Druckpunkte am Körper, die manchmal zufällig oder bewusst bei Fesselungen abgefeuert werden können. Du findest mehr zu dem Thema, wenn du Akupressurpunkte oder Shiatsu googlest. Wenn wir Druckpunkte durch Knoten oder Seillagen erzeugen, kann es sein, dass diese bei manchen Menschen bestimmte Reaktionen hervorrufen, z.B. gibt es zahlreiche Druckpunkte an der Leistengegend, welche den Energiefluss beleben oder erregend wirken können. Viele Hüftfesselungen machen sich dieses Konzept zu Nutze. Es gibt da noch viel viel mehr Punkte und Linien am Körper, die wir am Körper für bestimmte Zwecke nutzen können. Das ist aber ein bisschen ein Überschneidungsgebiet von Embodiment mit Akupressur - oder Energiepunkten aus der Traditionellen Chinesischen Medizin, die manchmal auch so richtig Spaß machen können.
Wie Embodiment im Shibari auf den Körper wirken kann
Zuletzt möchte ich noch kurz aufzeigen, warum Embodiment eine Wirkung auf den Geist und die Emotionen hat. Es gibt verschiedene Gründe dafür:
- Die Propriozeption (die Wahrnehmung des eigenen Körpers: Wo bin ich im Raum, Wo sind meine Arme, Beine, etc.?) wird durch Fesselungen verändert
- Durch bestimmte Körperhaltungen werden Hormone freigesetzt (siehe oben, das Experiment von Frau Cuddy), mit dabei Endorphine, Testosteron, gesenktes Cortisol, Dopamin und Oxytocin
- Die Körperhaltung macht die Atmung entweder leichter oder schwerer - beides kann interessant sein
- Auch Akupunkturpunkte, Shiatsu-, Schmerz- und Lustpunkte werden bewusst oder versehentlich gedrückt durch Seillagen oder Knoten. Aber auch wir können manuell - mit unseren Händen - leichten Druck auf interessante Stellen ausüben, z.B. am Becken, den Oberarmen, Schulter- oder Nackenmuskeln.
- Jede Körperhaltung kann auch mit einer Dehnung einhergehen. Jede Dehnung macht etwas anderes mit uns: Entspannung, Schmerz, ein gutes Gefühl, ein Ziehen, ein Druck,...
- Durch Fesselungen kann sich ein Model groß und stolz aber auch klein und verletzbar fühlen. Die Körpergröße kann durch Shibari verändert werden und einen Effekt auf die Emotionen und die Selbstwahrnehmung haben
- Die Wirbelsäule kann gestreckt und aufgerichtet sein und Zustände wie Selbstbewusstsein und Verlangen fördern. Eine Krümmung kann zur Introspektion und Hingabe führen, eine Überdehnung ins Hohlkreuz zu Lust, der Streckung und Präsentation der Brust oder Schmerz führen.
- Manche Körperhaltungen sind konditioniert und an bestimmte Situationen, Erfahrungen und Erinnerungen geknüpft. All das verändert das Erleben
- Es ist ein großer Unterschied, ob Herz, Lunge, Hals und Gesicht geschützt werden können oder frei und exponiert nicht verteidigt werden können.
- Die Position der Augen kann auch eine Rolle spielen: Wo muss ich hinschauen? Muss ich nach oben gucken (Trance fördernd) oder nach unten (meditativ, submissiv)?
- Auch die Durchblutung wird durch die Körperhaltung beeinflusst

Einladung für dich
Embodiment im Shibari zeigt uns, dass unsere Gefühle unserer Form, also der Körperhaltung, folgen – feelings follow form. Jede Fesselung ist wie eine kleine Einladung an den Geist, in einen bestimmten Zustand zu wechseln.
Ich lade dich also ein, mal ein wenig zu experimentieren mit den verschiedenen Fesselungen und fragt euch: Welche Fesselung wirkt beruhigend? Welche aktiviert oder erregt dich? Welche Fesselung macht dich emotional offener, lässt dich wehrlos und verletzlich fühlen oder provoziert vielleicht auch Wut in dir? Welche Haltung macht dich stolz und selbstbewusst?
Du wirst merken, dass schon kleine Veränderungen in der Haltung einen riesigen Unterschied machen können. Der Körper sagt uns, wie wir uns fühlen können - Feeling follows form und der Rest folgt dann auch von ganz alleine.
Begriffe zum Recherchieren:
- Embodiment
- Amy Cuddy
- Akupressurpunkte
- Shiatsu
- Psychosomatik

